Die Bergstraße –- die deutsche Hangflugrennstrecke

ein Bericht von Wilhelm Dirks – Chefkonstrukteur unseres Hause

Welcher Segelflieger träumt nicht davon, wie Karl Striedeck und seine Kollegen große Strecken im Hangflug zurückzulegen?
Leider gibt es in Deutschland keine den Appalachen vergleichbaren Bergketten. Die längste halbwegs geschlossene Hangkette ist außer der Schwäbischen Alb die Bergstraße, die sich an der Ostseite des Rheintals von Darmstadt Eberstadt bis Wiesloch über eine Länge von etwas mehr als 50 km erstreckt.
Die Höhe der Hänge über Talsohle beträgt zwischen 200 und 500m.
Die Ausrichtung ist ungefähr Nord-Süd, so dass bei den öfters im Rheintal auftretenden Süd-West Winden Hangflug möglich ist. Idealer wäre natürlich ein Wind direkt aus West, aber den gibt es im Rheintal fast nie.
Am Wochenende vom 26. und 27. Oktober zog das kräftige Orkantief „Jeanette“ über Deutschland. Für den Tag danach sagte der abendliche Wetterbericht nur noch schwachen Wind vorher. Als ich aber am nächsten Morgen auf meinem Fahrrad ins Geschäft fuhr, kam mir der Wind dann doch recht stark vor. Ein kurzer Blick in den Segelflugwetterbericht bestätigte diesen Eindruck, insbesondere wurde der Wind mehr westlich, als bei uns üblich, vorhergesagt und es sollte nicht regnen. Schnell fasste ich den Entschluss, einen Tag Urlaub zu nehmen und machte unsere Werks- DG-808C startklar und füllte Wasserballast bis zur max. Startmasse von 525 kg ein.
Da das alles seine Zeit kostete, konnte ich erst um 7:55 Zulu, also ca. 2 Stunden nach Sonnenaufgang starten, ob die Zeit wohl für einen 1000 km Flug reicht?
Dem Steigflug auf 800 m und Abflug über dem Flugplatz Bruchsal folgte ein Gleitflug zum südlichen Ende des Hangs bei Wiesloch. Dort ist der Hang allerdings noch recht niedrig und es war in meiner Flughöhe noch kein Steigen spürbar. Aber bei Leimen südlich von Heidelberg (dort wo der Boris Becker herkommt) steigt der Hang an und das Vario pendelte sich bei Null ein, bei einer Vorfluggeschwindigkeit von 150 km/h. Auch die Windanzeige im Zander-Rechner bestätigte, dass der Wind aus West-Süd-West kam, allerdings nicht besonders stark, nur mit ca. 30 km/h. Dank der Kompasskoppelung bekommt man beim Zander Rechner ständig den aktuellen Wind angezeigt und kann somit feststellen, ob das Steigen wirklich vom Hangwind herrührt oder von thermischen Ablösungen am Hang, die alleine keinen sicheren Hangflug erlauben.
Von Heidelberg bis Schriesheim ist der Hang mit ca. 400 m über Talsohle recht hoch und liefert guten Hangaufwind. Von Schriesheim bis Weinheim wird es dann schwieriger, da der Hang niedriger wird und Richtung Nord-Ost abbiegt, d.h. bei Süd – West fast parallel zum Wind liegt. Bei der heutigen Windrichtung ging es mit passabler Geschwindigkeit weiter, aber die Höhe über Talsohle nahm entsprechend der Hangkantenhöhe ab, eigentlich nichts Beunruhigendes, wenn der Wind stark genug ist. Normalerweise trägt der Hang nördlich von Weinheim sehr gut, da er bei Süd-West voll angeblasen wird, aber heute war das nicht der Fall. Mit 250 m über Grund ging es weiter bis Heppenheim, dort kam mir noch etwas tiefer eine ASH 25 entgegen, die “MV” mit Michael Paul und Klaus Willenbrink. Ich sollte  ihr heute noch oft begegnen. Wie ich später beim deutschen Segelfliegertag von den Piloten erfuhr, waren sie schon um 6:30 von Rheinheim aus gestartet.
Von Heppenheim bis Bensheim gibt es keine ausgeprägte Hangkante, sondern nur drei einzelne Hügel, so dass es ganz normal ist, auf Höhe oder etwas unterhalb des Auerbacher Schlosses am Melibokusmassiv, dem Hausberg der Bensheimer Segelflieger, anzukommen. Dort sollte man dann im Hangaufwind bis knapp unter Gipfelhöhe steigen können, leider aber nicht heute. Ich musste zwei Achten an den tieferen Rippen des Melibokus fliegen, um etwas Höhe für den weiteren Flug Richtung Norden zu bekommen. So etwas drückt den Schnitt, aber nach Norden zu biegt die Hangkante wieder nach Nord-Ost ab und meist trägt dies Stück kaum.
Erst am Frankenstein, der wieder deutlich höher ist und immer gut angeblasen wird, ist wieder Steigen zu erwarten. Heute trug das Stück bis zum Frankenstein passabel, so dass ich trotz meiner immer noch geringen Höhe gut am Frankenstein ankam. Endlich wieder Steigen am Frankenstein, Wende etwas nördlich von der Burg und dann zurück gen Süden.
Bei früheren Hangflügen hatte ich immer versucht, 550 m am Frankenstein zu bekommen. Heute ging das leider nicht, so dass ich mit 100 m weniger vorlieb nehmen musste und dementsprechend tief zum Melibokus zurück kam. Hier war noch einmal das Achtenfliegen angesagt, um genügend Höhe für das niedrige Stück bis zur Starkenburg bei Heppenheim zu gewinnen. Der Vorflug erfolgte recht gemächlich mit Mc Cready 1.
Ab Heppenheim konnte ich den Mc Cready Wert auf 1,5m/s hochstellen. Richtig gut ging es dann wieder ab dem Schriesheimer Hang, ein Berg mit einem Steinbruch im oberen Bereich, der an Wochenenden von Kletterern genutzt wird. Allerdings ist es auch unbedingt nötig, in diesem Bereich Höhe zu gewinnen, um bei Heidelberg über den Neckar zu springen und hoch genug am Königsstuhl ankommen zu können. Auf dem letzten Berg nördlich des Neckars befindet sich die Thingstätte, eine Art Amphitheater und das sollte man schon von oben sehen, um sicher weiterfliegen zu können. Die Querung des Neckars geht am Besten in dem man nicht südlich, sondern südwestlich vor fliegt, oft steigt es dann noch mitten über dem Neckar. Aber noch wichtiger ist, dass man bei diesem Kurs bei Süd-West Wind nicht in das Lee der Rippe des Königstuhls kommt, die nach Westen vorsteht. Auf der Südwest Seite dieser Rippe kann man, wenn man noch hoch genug ist, direkt an den hohen Hang des Königstuhls heran fliegen. Wenn die Höhe dazu nicht reicht, dann kann man auch an einer tiefer gelegenen Hangkante Richtung Süden weiterfliegen und erst am Ortsrand von Leimen versuchen, an den höheren Hang zu wechseln.
Heute ging es aber gleich zum hohen Teil und ich konnte zügig bis zu meiner südlichen Wende über dem Gelände der psychiatrischen Landesklinik Wiesloch weiterfliegen. Wie Eingangs erwähnt, ist dort der Hang schon ziemlich niedrig, so dass man dabei etwas Höhe verliert, die aber beim Rückflug am höheren Hang leicht wieder zu gewinnen ist. Die Strecke zwischen den beiden Wenden beträgt 53 km. Für die erste Runde brauchte ich ca. eine Stunde, zu lang um damit an diesem Tag 1000km abzuspulen. Glücklicherweise setzte nach der zweiten Runde etwas Thermik ein und durch Ausnutzung der Hangablösungen im Delphinstil konnte ich die Geschwindigkeit deutlich steigern, so dass ich auf großen Teilstrecken den Mc Cready Wert auf 2 hochstellen und die folgenden Runden in jeweils 50 Minuten fliegen konnte.
Gegen Abend wurde der Wind dann stärker und gleichmäßiger, so dass auch ohne thermische Ablösungen ein schneller Flug möglich wurde. Leider versank am Ende der 9. Runde die Sonne hinter den Pfälzer Bergen auf der anderen Seite des Rheintals – trotzdem ein malerischer Anblick.
So konnte ich nur noch eine halbe 10. Runde anhängen, um noch vor Sunset +30 wieder in Bruchsal landen zu können. Mit der am Hang erreichbaren Höhe ist ein Rückflug bis nach Bruchsal nicht möglich, da der Kraichgau keine ausgeprägte Hangkante hat und damit keinen Hangaufwind liefert. Mit einem Segelflugzeug würde sich eine Landung auf dem Walldorfer Segelflugplatz anbieten, mit meiner DG-808C glitt ich die Höhe ab und fuhr 13 km vor dem Platz den Motor aus. Damit hatte ich eine Strecke von 1012 km im Segelflug zurückgelegt in einer Gesamtflugzeit von 8 Stunden und 29 Minuten.
Das Gute an diesem Tag war, dass es keine Schauer gab, dafür war der Wind aber deutlich schwächer, als an anderen guten Hangflugtagen in der Vergangenheit.
Die Flüge des 28. Oktober 2002 waren nicht die ersten 1000 km Flüge an der Bergstraße.
Am 24. Februar 2002 hatten Kai Lindenberg und Mathias Hölzl 1194 km geflogen (siehe Aerokurier 4/2002) und ich hatte bereits im vorigen Jahr am 5. August 2001 1025 km an der Bergstraße zurücklegen können. Bei einem zweiten Versuch am 7. September 2001 erreichte ich sogar 1080 km, aber mit einem kurzen Motoreinsatz nach der halben Strecke, als mich einer der vielen Schauer, die es an diesem Tag gab, herunter regnete.
Sicherlich wird das nicht mein letzter Hangflug an der Bergstraße sein. Vielleicht gibt es mal einen Tag an dem alles optimal ist. Mal sehen, welche Strecke dann fliegbar ist!

 

– Wilhelm Dirks / Nov. 2002  –