Die LS1-0 V1 (1967)

aus dem Buch “Segelflugzeug-Geschichten” mit freundlicher Genehmigung des Autors Peter Selinger

Das Jahr 2002 bescherte dem Museum eine bedeutende Erweiterung der Sammlung von Segelflugzeugen: die allererste LS 1, den Urahn aller LS-Segelflugzeuge. Der Name LS nennt mit dem ‘L’ den Konstrukteur Wolf Lemke. Das ‘S’ bezeichnet die Unternehmer-Familie Schneider aus Egelsbach bei Frankfurt/Main, mit Walter Schneider als dem Segelflugzeugbau-Verantwortlichen, die es als Außenseiter im Vergleich zu den auf lange Traditionen zurückblicken den etablierten Herstellern in Deutschland “wagte”, in die Entwicklung und den Bau solch moderner Segelflugzeuge einzusteigen. Bei Redaktionsschluss nimmt die LS 1 im Bestand des Deutschen Segelflugmuseums mit Modellflug eine Sonderstellung ein. Die LS 1 ist im Museum der modernste der Kunststoffsegelflugzeug-Typen, die in größeren Serien hergestellt worden waren und werden.

Die LS 1 ist nicht das erste Kunststoffsegelflugzeug, das die Segelfliegerwelt Wolf Lemke zu verdanken hat.Der Name Wolf Lemke rückte erstmals ins Rampenlicht als Teil eines  Konstruktionsteams der Akaflieg Darmstadt, das Anfang der 60er Jahre die D 36 “Circe” schuf. Walter Schneider führte mit Wolf Lemkes Entwürfen, konstruktiven Ideen und untrüglichem Gespür für die Aerodynamik den Segelflugzeugbau bei Rolladen-Schneider zur Weltgeltung in der Standardklasse und später der FAI-15m-Klasse.

Helmut Reichmann gewann schon 1970 die Weltmeisterschaften in der Standardklasse im texanischen Marfa mit der LS 1 und 1974 in Waikerie, Australien mit der LS 2 noch einmal, seine dritte dann mit dem Experimental-Segler SB 11 der Akaflieg Braunschweig 1978 in Chateauroux, Frankreich in dieser damals neuen 15m-Klasse.

Wer bei den LS-Segelflugzeugen nur an Wolf Lemke denkt, unterschätzt die Rolle und den Anteil Walter Schneiders am Gesamterfolg. Walter Schneider hatte ja schon Erfahrungen im Bau von Kunststoff-Segelflugzeugen, als er sich nach den Plänen der Akaflieg Darmstadt seine eigene D 36 “Circe” baute, die D 36 V-2. Schneider setzte Lemkes Erfindungsreichtum in die Wirklichkeit des Segelfliegens um!

Diese allererste LS 1 unterscheidet sich von den Serienmaschinen aller folgenden Baureihen der LS 1 durch ihre Bauweise. Sie entstand in einer provisorischen Werkstatt (unter Plastikfolien im Freien) insgesamt in Positivbauweise, d.h. von innen nach außen, wie beim Holzsegelflugzeug oder denen in Gemischtbauweise, da erst von ihr die Negativformen für die Serie abgenommen worden sind. Lediglich für die schon beim Prototyp als reine GfK-Schale ausgeführte Rumpfröhre (zwischen Flügel und Leitwerk) bauten sie sich eine Negativform. Die erste LS 1 diente also überwiegend gleichzeitig als Formkern. Von der dann in großer Stückzahl hergestellten LS 1c hält das LBA-offizielle Datenblatt für die LS 1-0 V-1 als Unterschiede fest: einen geringeren Bodenanstellwinkel, eine andere Ausführung der Klappen- und Rudersteuerung, das innere Stahlrohrgerüst für Cockpit und Rumpfmittelteil (anstelle der späteren selbsttragenden Vollkunststoffschale auch in diesem Rumpfbereich) und eine etwas andere innere GFK-Struktur des Flügels (Conticell-Hartschaum-Sandwich in der Serie), der Klappen und Leitwerksflächen. Walter Schneider erinnert sich noch ganz genau an diese Anfänge: Der Flügel-Kastenholm mit Schaumfüllung (Conticell) ist oben und unten mit den GfK-Roving-Gurten belegt und an der Seite mit GfK-Gewebe. Daraufhin brachten sie auf den Holm nach vorne und hinten aufgeklebte Styroporklötze mit Hitzdrahtschneiden über Schablonen in Form, was so genau wurde, dass sie sie nur noch mit Glasgewebe belegen und mit Harz tränken mussten. Dann kam das sehr mühsame viele Arbeitsstunden erfordernde Finish mit dem Schleifen der Oberfläche. Beim Leitwerk verwendeten sie von Anfang an die GfK-Conticell-Sandwich-Bauweise, mit Holzrippen in der Mitte für die Aufnahme der Beschläge. Bis zur Baureihe LS1e bestand der Holmsteg der Serienflügel aus Birkensperrholz. Ab der LS1f dann ersetzte Rolladen-Schneider auch hier das Holz durch einen Kunststoff, den mit Fasergewebe belegten Hartschaum.

Wolf Lemke erinnert an ein bisher unveröffentlichtes oder zumindest total vergessenes Auslegungskriterium für den Rumpf der ersten LS1: Walter Schneider und er hatten eigentlich vor, die LS1 mit einer nach vorne aufschiebbaren Rumpfnase zum Ein- und Aussteigen auszurüsten, um jeglichen Haubenspalt und damit Störungen in der noch laminaren Anströmzone am Vorderrumpf zu vermeiden. Deshalb erhielt der Prototyp dieses Stahlrohrinnengestell, als tragendes Gerüst für diese Schiebehaube, besser Schieberumpfvorderteil. Entgegen diesem Plan gelang es jedoch dem sich immer um die Mechanik der LS-Segelflugzeuge kümmernden Walter Schneider und Wolf Lemke nicht, eine alle Sicherheitsanforderungen (bei Notausstieg und Bauchlandung) erfüllende leichte und kostengünstige mechanische Lösung für ein solches Rumpfvorderteil zu finden. Es blieb erstmal bei der 2-teiligen Haube des Prototypen auch für die ersten Baureihen.

Die von der Serie abweichende Bauweise des Prototyps führte zu der Sonderauflage des LBA, die Jahresnachprüfung alle vier Jahre beim Hersteller durchführen zu lassen. Kunstflug ist diesem Unikat gänzlich verboten.

Mit der Weiterentwicklung der LS1, wird diese allererste LS1 die LS1-0 V-1, LS1-0 hieß die erste Bauserie. In den Akten findet sich aber auch das verkürzende LS1-V1. Ihr ursprüngliches Kennzeichen D-4723 behielt sie bis zur Außerbetriebnahme. Wolf Lemke startete am 8. November 1967 in Langenlonsheim (an der Nahe) zum Erstflug, Walter Schneider am selben Tag gleich darauf zum zweiten Flug aller LS-Segelflugzeuge überhaupt. Ein Jahr noch blieb sie bei Rolladen-Schneider in Egelsbach. Die Deutschen Segelflugmeisterschaften 1968 in Oerlinghausen sehen Helmut Reichmann mit dem Prototyp und Walter Schneider in einer weiteren LS1 auf Platz 1 und 2, ein überzeugender Einstand! Erster externer Halter wurde die Akaflieg Saarbrücken, zu der Walter Schneider schon lange eine besondere Beziehung hatte (siehe LS5) und aus der Helmut Reichmann stammt, der die LS1 dann 1970 mit seinem WM-Titel zu Weltruhm flog. 1970 bis 73 fand der Prototyp bei Walter Parkner in Recklinghausen eine Heimat. Anfang 1974 noch flog sie Rudolf Wein (Wanne-Eickel), der sie am 4. Mai 1974 an Willibald Sack in Berlin abgab, von dem sie 1976 der Flugtechnische Verein Spandau 1924 e.v. übernahm und auf der “Berliner Heide” in Metzingen, nordöstlich von Hannover nicht weit von Celle, stationierte. Mit den beiden letzten Flügen am 1. August 1992 von der Berliner Heide aus “schraubte” H. Huster die Eintragungen im Bordbuch auf 1019 Starts mit insgesamt 1285h24′ Flugstunden. Den zweitlängsten Flug laut Bordbuch 2, das erste steht leider nicht zur Verfügung, schenkte W. Heising unserer LS1-0 V-1 D-4723 am 1. Juni 1983 mit einem Alpenflug von 7h 13 vom österreichischen Timmersdorf aus. J. Haase flog am 29. Mai 1991 von der Berliner Heide aus sogar 7h 24′. Eine aus Sicherheitsgründen von Wolf Lemke selbst am 6. März 1992 zwingend vorgeschriebene Neulackierung vor dem Frühjahr 1993 besiegelte, damals noch nicht vorhersehbar, das fliegerische Ende. Der mit einer so umfassenden Sanierung verbundene Aufwand erschien denn doch zu hoch. Im September 1993 löschte das LBA sie aus dem Zulassungsregister. Aber immer noch wollten die Mitglieder des FTV Spandau 1924 ihre LS1-0 V-1 nicht aufgeben und bewahrten sie.

2002 kam der Musterzulassungsstelle des Luftfahrt Bundesamts in Braunschweig jedoch der überholungsbedürftige Zustand sehr gelegen. Es ging darum, ein zerstörungsfreies Prüfverfahren für die Untersuchung von Lackrissen an Kunststoffstrukturen in der Luftfahrt anzuerkennen, d.h. nachzuweisen, dass dieses Verfahren erlaubt, eindeutig zu erkennen, ob der Riss wirklich nur die Decklackschicht durchdringt oder auch in die tragende Faserverbundstruktur hineinreicht. An dieser LS1-0 V-1 gelang dies dem LBA, ohne damit ein noch flugtüchtiges (Segel-)Flugzeug beschädigen zu müssen. So wird wohl die LS1-0 V-1des FTV Spandau 1924 in Zukunft vielen Segelflugzeughaltern ansonsten unvermeidbare Reparaturkosten ersparen, weil die Risstiefe bisher nur durch Aufschleifen festgestellt werden konnte, was in jedem Fall eine umfangreichere Wiederherstellung der Oberfläche erforderte.

Im Laufe des Sommers 2003 bewahrheiteten sich die Gerüchte um einen Konkurs des Bereichs Segelflugzeugbau bei Rolladen-Schneider.