Lautlose Leistungssportler der Lüfte

In der Zeitschrift:„synergie“ 01/2006, S. 04/05 erschien ein Artikel von Thilo Wüstenhagen über Wilhelm Dirks (Chefkonstrukteur von DG Flugzeugbau bis 2012):

PERSPEKTIVEN SEGELFLUG

Anfang der sechziger Jahre gab es für Jugendliche ein ungleich überschaubareres Freizeitangebot als heute. In Wilhelm Dirks’ Jugend waren der Modellflug und später das Segelfliegen die herausragenden Angebote. Heute frönt er beruflich beiden Leidenschaften als Chefkonstrukteur der Bruchsaler DG Flugzeugbau GmbH.
Als Wilhelm Dirks selbst hoch hinaus wollte, bedurfte es nur eines Wechsels innerhalb seines Luftsportvereins. Nach dem Erwerb des Luftfahrerscheins für Privatluftfahrzeugführer/PPL (private pilot licence), der Segelfluglizenz, startete er zum Studium des Maschinenbaus an der Technischen Hochschule (TH) Darmstadt durch. Dort schloss sich der flugbegeisterte Student der Akademischen Fliegergruppe (Akaflieg) an und widmete sich mit viel Eigeninitiative und innovativen Ideen der Konstruktion und Realisierung von Segelflugzeugen. Während des Studiums träumte der angehende Diplomingenieur davon, genau diese Tätigkeit eines Tages zu seinem Beruf zu machen. Wie es der Zufall wollte, lernte er bei einem Segelflugwettbewerb den Untergrombacher Gerhard Glaser kennen. Sie gründeten die Glaser-Dirks Flugzeugbau GmbH und fertigten in Untergrombach den Darmstädter Prototyp D-38 unter der Bezeichnung DG-100 in Serie.
Reine Segelflugzeuge haben den Nachteil, dass man mangels Aufwind zwangsläufig auf dem Boden der Tatsachen ankommt, leider nicht immer auf dem heimischen Flugplatz. Wilhelm Dirks erinnert sich lebhaft an eine dieser so genannten Außenlandungen (Landung aufgrund mangelnder Thermik):
Südlich von Würzburg kam er mit seinem Segelflugzeug in eine Gewitterfront und musste auf einer Wiese landen. Da es seinerzeit noch keine Handys gab, fragte er im nächstgelegenen Bauernhof, ob er telefonieren dürfe. Der Bauer, ein wohl geiziger Mensch, bestand auf Bezahlung. Kaum an seinem Flugzeug wieder angelangt sah Dirks, dass ein Blitz in die Scheune einschlug. Der Himmel war scheinbar erzürnt über einen derartigen Charakter. Wenig später rückten alle Freiwilligen Feuerwehren aus dem Umland mit teils historischen Fahrzeugen zur Brandbekämpfung an.
Seit 1981 baut Glaser-Dirks auch Segelflieger mit Klapptriebwerk. 15 Jahre später setzte das Unternehmen hart auf, fiel dennoch weich, weil finanzkräftige wie flugbegeisterte Kunden, Karl Friedrich Weber (der heutige Geschäftsführer) und dessen Frau Eva-Marie das Unternehmen unter dem neuem Namen DG Flugzeugbau bald wieder startklar machten. Weil Weber, Inhaber einer Spedition und einer Softwarefirma für Logistikprogramme, im Konkursfalle seine DG-800B nicht bekommen hätte, erwarb er das dazugehörige Unternehmen gleich mit.
Derlei irdische Probleme lässt Dirks beim Segelflug weit unter sich, weil er voll und ganz auf sich selbst angewiesen ist und sich fast ausschließlich auf den Flug und die Wetterbedingungen konzentriert: „Das hat den Vorteil, dass man seine Gedanken gut abschalten kann!“ Da er jedoch als Leistungssegelflieger immer versucht, eine möglichst große Strecke zu fliegen, setzt er sich selbst unter Leistungsstress, was den Effekt der Entspannung wieder relativiert. Sein letztjähriger Rekordflug entspringt einem zweiwöchigen Fliegerurlaub, von dem er 90 Stunden im Cockpit verbrachte:
„Die Bedingungen für einen 1.000-Kilometer-Flug sind in Namibia deutlich besser. Durch günstige Aufwinde kommt man im Laufe des Tages über 5.000 Meter Flughöhe und kann in der vorgegebenen Zeit entsprechend schneller und damit weitere Strecken fliegen.“ Jetzt ist die „Bitterwasser“-Farm im Gebiet der Kalahari Wüste um eine Palme reicher. Deren Pflanzung ist im Eldorado der Segelflieger seit 30 Jahren für jeden Piloten, dem so ein Flug gelingt, ehrenvolle Pflicht.
In der Regel nimmt Dirks einmal im Jahr an einem Wettbewerb teil. Sonst beschränkt sich das Segelfliegen meist auf die Wochenenden, an denen er von Bruchsal aus entweder per Eigenstart mit Klapptriebwerk, oder im Flugzeugschlepp in die Lüfte aufsteigt. Während der Barde und (Motor-) Flieger Reinhard Mey singt „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“, bestätigt (Segel-) Flieger Wilhelm Dirks diese Freiheit auch für den Raum unter den Wolken, wo sich Segelflugzeuge „in 98 Prozent aller Flüge“ aufhalten. Ausnahme: „Der Wellenaufwind ist der einzige Aufwind, mit dessen Hilfe man ohne Motor auch über die Wolken kommt.“
Die gesetzlich garantierte freie Benutzung des Luftraums wird hierzulande durch die Luftraumbegrenzung, die es einzuhalten gilt, und immer mehr Sperrgebiete zunehmend eingeschränkt: Rhein-Main-Flughafen, Baden-Airport oder Frankfurt-Hahn, mit für Segler idealen „schnellen Korridoren“, sind tabu. Um Kernkraftwerke herum werden aus Angst vor terroristischen Anschlägen Schutzgebiete ausgewiesen. Diese können zwar dank GPS-Technik präzise umflogen werden, aber gewisse schöne Segelflugstrecken von einst landen in der Erinnerung. Dennoch bleibt das Fliegen für Wilhelm Dirks unvergleichlich. Neuestes Produkt und derzeitiger Lieblingsflieger ist die DG-1000T, ein Doppelsitzer mit Klapptriebwerk. Darüber hinaus tüftelt er an der Rennklasse-Neuentwicklung LS-10.
Nach den Turbulenzen vor zehn Jahren ist die DG Flugzeugbau GmbH längst wieder im Aufwind.

ZUR PERSON:
Wilhelm Dirks, geboren 1947 in Leer/Ostfriesland, verheiratet, zwei erwachsene Kinder. Kindheit und Schulzeit in Oldenburg. Seit dem 12. Lebensjahr Modellflugbau im Luftsportverein Oldenburg Bad Zwischenahn e.V., mit 14-15 Jahren Wechsel zum aktiven Segelfliegen. 1968-1973 Maschinenbaustudium in Darmstadt, Engagement in der Akademischen Fliegergruppe (Akaflieg) Darmstadt e.V., 1972 Konstruktion seines ersten Segelflugzeugs (D-38). 1973 Gründung der Glaser-Dirks Flugzeugbau GmbH in Untergrombach mit Gerhard Glaser und Eintritt in den Luftsportverein Bruchsal e.V.
Frühjahr 1996 unerwartete Turbulenzen und Konkurs. Sommer 1996 dank finanzkräftiger Investoren als DG Flugzeugbau GmbH mit Dirks als Leiter der Entwicklung wieder im Aufwind, seit 2000 am Standort Bruchsal.
2005 vom Segelflugzentrum „Bitterwasser“ in Namibia/Südwestafrika aus reiner Segelflug eines 1.003-Kilometer-Dreiecks in neun Stunden und zwei Minuten mit seiner von ihm selbst konstruierten DG-800B. Dirks schafft als erster Pilot des LSV Bruchsal ein so genanntes FAI-Dreieck über mehr als 1.000 Streckenkilometer.